DIE UNO: Von der Verantwortung der Wissenschaft für die Festigung des Friedens

Skeptische Mienen: die deutschen Ministerinnen Lemke (links) und Baerbock sowie Kanzler Scholz verfolgen eine UN-Generaldebatte Quelle: picture alliance/dpa/Michael Kappeler

20 Minuten

Von der Verantwortung der Wissenschaftler für die Festigung des Fliedens Der Generalsekretär der Vereinten Nationen vor der Universität Osnabrück

Es ist eine Ehre, die Doktorwürde dieser Universität verliehen zu bekommen. Für mich bedeutet dies den Ausdruck Ihrer Wertschätzung für die Arbeit der Vereinten Nationen und Ihrer Unterstützung für die Bemühungen der Vereinten Nationen um Frieden, Fortschritt und Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen. Solche Unterstützung bereitet zu dieser kritischen Zeit in der Weltpolitik und in diesem Internationalen Jahr des Friedens große Genugtuung.

Eine Reihe von historischen Umständen geben dieser Feier ein besonderes Gepräge. Erstens befinde ich mich in einer Stadt, die in der europäischen Geschichte einen stolzen Platz einnimmt, waren es doch Osnabrück und das nahegelegene Münster, in denen am 24. Oktober 1648 der Westfälische Frieden unterzeichnet wurde, der jenem verheerenden Konflikt — dem Dreißigjährigen Krieg — ein Ende setzte. Das Streben nach Frieden hat die Geschichte dieser Stadt geprägt. Heute, fast dreieinhalb Jahrhunderte später, stellen wir fest, daß dieses zukunftsgerichtete Streben unvermindert anhält, allerdings auf sehr viel breiterer Ebene. Zweitens befinde ich mich auf deutschem Boden, und die deutsche Erfahrung dieses Jahrhunderts beschäftigt mich ganz besonders.

Dieses Land hat die Schrecken des Krieges und die Verheerungen erlebt, die die kriegstreiberische Ideologie mit sich bringt. Die Tatsache, daß das deutsche Volk dieser Ideologie eine Absage erteilt hat, und die Art und Weise, in der die Menschen dieses Landes die Möglichkeiten des Friedens zum Wiederaufbau und zur materiellen und geistigen Bereicherung ihrer Gesellschaft genutzt haben, stellen ein wahrhaft heroisches Kapitel in der Geschichte der Neuzeit dar. Ich möchte hier dem deutschen Genius Tribut zollen, der auf den Gebieten der Wissenschaft, der Philosophie, der Literatur, der Musik und anderen Künste so großartige Beiträge zum geistigen Erbe Europas geleistet hat, und meiner tiefen Bewunderung für den Fleiß des deutschen Volkes und sein Eintreten für den Frieden Ausdruck verleihen.

Angesichts aller dieser Umstände bin ich sicher, daß die Hochschulen in diesem Land Stärkstens daran interessiert sind, gebührenden Anteil an der vieldimensionalen Aufgabe der Festigung des Friedens in Europa und in der Welt zu haben. Studenten und Wissenschaftler bestimmen natürlich nicht die Politik von Regierungen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie deswegen die Entwicklung der internationalen Angelegenheiten als hilflose Zuschauer und als passive Zeugen verfolgen müssen. Ganz im Gegenteil bin ich davon überzeugt, daß an Universitäten wie dieser der Grundstein für den Wandel in der geistigen Haltung gelegt werden kann, durch den die Politik der Staaten weltweit eine neue Ausrichtung erhält.

Wenn die Regierungen zum Verlassen eines engen nationalistischen politischen Kurses veranlaßt und zu größerer Kooperationsbereitschaft bei der Verfolgung der gemeinsamen Ziele der gesamten Menschheit ermutigt werden sollen, dann ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Man darf nicht übersehen, daß auch die Ideen und Grundsätze, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, nicht den Köpfen von Staatsmännern entstammen, sondern im Werk von Philosophen wie Immanuel Kant und Hugo Grotius wurzeln. Was heute visionär ist, kann morgen schon praktische Politik sein.

Denker und Gelehrte haben nicht nur das Vorrecht, sondern auch die Pflicht, die herrschende Auffassung nicht stillschweigend hinzunehmen, wenn diese auf irrigen Vorstellungen oder falschen Prämissen beruht oder offenbar schädliche Auswirkungen nach sich zieht. Es gibt keinen Bereich, in dem dieses Vorrecht und diese Pflicht nutzbringender wahrgenommen werden könnten als im Bereich der Abrüstung. Menschen, die der Stimme ihres Gewissens folgen, können die Tatsache, daß die Welt trotz jahrzehntelanger weltweiter Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle der Abschaffung des Krieges und der Umkehrung des Wettrüstens um keinen Schritt nähergekommen ist, nicht einfach resigniert hinnehmen. Wenn selbst Denker und Gelehrte dazu neigen, Abrüstung als unerreichbares Ziel abzutun, so weist dies auf ein zweifaches Versagen hin. Das erste besteht im Verhaftetsein in einer merkwürdigen Form von Fatalismus, der sich des Denkens der Menschen anscheinend bemächtigt hat, einer Form von Fatalismus, die lähmender ist als der Glaube an die Prädestination, der große Zivilisationen in der Geschichte zum Untergang verurteilt hat.

Wir sollten uns doch völlig darüber im klaren sein, daß es im menschlichen Dasein nichts gibt, was das Wettrüsten und die Militarisierung der Gesellschaften zum unentrinnbaren Schicksal der Menschheit macht. Das stillschweigende Hinnehmen ständiger Weiterentwicklungen in der Militärtechnologie führt dazu, daß jede Innovation im Rüstungsbereich neue Sicherheitskonzepte, jede technologische Verfeinerung eine Neubewertung der strategischen Lage hervorbringt. Wenn jedoch schon die industrielle Technologie so sorgsam kontrolliert und so selektiv angewandt werden kann, wie die Privatunternehmen dies im Interesse ihres Profits tun, dann gibt es doch keinen Grund dafür, der Technologie der Zerstörung ungehemmtes Wachstum zu Lasten des wirtschaftlichen Fortschritts und des Friedens zu gestatten. Ich kann nicht oft genug wiederholen, daß die Technologie Dienerin der Menschheit und nicht Herrscherin über ihr Geschick sein sollte.

Das zweite intellektuelle Versagen im Bereich der Abrüstung besteht in der Fehleinschätzung der Tatsache, daß das Bemühen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren — um in der Sprache der Charta zu sprechen —, im derzeitigen Entwicklungsstadium der Menschheit viel glaubwürdiger ist als je zuvor. Der Hang des Menschen zur Gewalt ist natürlich nicht geringer geworden, doch lohnt sich Gewaltanwendung heute weniger denn je. Alle Betroffenen räumen inzwischen ein, daß ein Nuklearkrieg nicht gewinnbar ist: er führt allein zur Vernichtung der menschlichen Zivilisation und ihrer Errungenschaften. Auch im sogenannten konventionellen Bereich zeigt sich, daß Akte der Gewaltanwendung eine Unzahl von Problemen heraufbeschwören, die noch gravierender sind als das Problem, das dadurch ursprünglich vielleicht gelöst werden sollte.

Unter den heutigen Bedingungen kommen weder der Aggressor noch sein Opfer bei einem militärischen Schlagabtausch unversehrt davon. Angesichts dieser beiden einfachen Überlegungen ist es nicht logisch, die Vorstellung einer Welt ohne Krieg als Utopie abzutun. Wir sollten vielmehr davon ausgehen, daß der Mensch genauso wenig einen Präzedenzfall braucht, um den Krieg von diesem Planeten zu verbannen, wie er einem Präzedenzfall gefolgt ist, als er den Weltraum erobert hat und auf dem Mond gelandet ist.

Mehr als in jedem anderen Bereich können Wissenschaftler und Politologen im Bereich der Abrüstung neue Horizonte eröffnen und neue Perspektiven aufzeigen. Ihre Aufgabe ist es, mit wissenschaftlicher Strenge zu analysieren, was Sicherheit wirklich ist, welche alternativen Mittel oder Strategien der nationalen Sicherheit es gibt und ob es richtig ist, Sicherheit ausschließlich unter militärischen Gesichtspunkten zu sehen. Eine solche Untersuchung wäre kein abstraktes Denkspiel — empirische Daten über die Verheerungen, die das Wettrüsten anrichtet, gibt es im Übermaß. Gesonderte Betrachtung erfordert ein spezifischer Themenkreis in diesem Bereich, nämlich der der Auswirkungen, die der eskalierende Handel mit und der Einsatz von konventionellen Waffen in den Gesellschaften der Dritten Welt haben.

Was der scheinbar harmlose Begriff >Waffentransfer< nicht zum Ausdruck bringt, sind die beklagenswerten Konsequenzen des nicht versiegenden Stroms von Waffenlieferungen an Entwicklungsländer. Sie wirken nicht konfliktdämpfend, sondern konfliktverschärfend. Sie brauchen Ressourcen auf, die dringend für die wirtschaftliche Entwicklung benötigt werden, und sind diesen Gesellschaften ein Hindernis auf dem Wege zu einer sozial gerechten und demokratischen Ordnung. Diese Konsequenzen verdienen es, einmal restlos aufgedeckt zu werden.

Die Abrüstung steht in vielerlei Hinsicht im Zusammenhang mit der Entwicklung. In der Charta der Vereinten Nationen wird von der Notwendigkeit gesprochen, Bedingungen der Stabilität und der Wohlfahrt zu schaffen, die die Voraussetzung für friedliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen sind. Obwohl diese Notwendigkeit bejaht wird, weitet sich die Kluft zwischen einem wohlhabenden Norden und einem benachteiligten Süden immer mehr. Der Sieg über die Armut ist somit ein wichtiges Anliegen, dem die Wissenschaft meines Erachtens unbedingt größere Aufmerksamkeit widmen sollte. Im Norden wie auch im Süden ist von Wirtschaftswissenschaftlern und anderen Fachleuten für internationale Angelegenheiten, die Entwicklungsstrategien für Länder der Dritten Welt vorgeschlagen haben, zweifellos viel wertvolle Arbeit geleistet worden.

Wenn es im Verlauf der Entwicklung zu Irrtümern und Fehleinschätzungen gekommen ist oder wenn falsche Prioritäten gesetzt worden sind, weil man anderswo entlehnten Modellen folgen wollte, so kann dafür nicht die Wissenschaft verantwortlich gemacht werden. Allerdings kann nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse noch nicht vorausgesagt werden, wie vielfältig die Auswirkungen sind, die anhaltende Armut und Not in großen Teilen des Südens für den in Wohlstand lebenden Norden mit sich bringen. Die jüngste internationale Kreditkrise ist nur ein herausragendes Beispiel. In einer interdependenten Welt ist es offensichtlich, daß eine wirtschaftliche Situation, die für eine Gruppe von Nationen völlig unerträglich ist, für eine andere nicht auf lange Sicht von Vorteil sein kann. Hochtönende oder revolutionäre Maßnahmen schaffen auch nicht immer Abhilfe:

Klüger wäre es vielleicht, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich konkret eine allmähliche Anpassung erreichen ließe, die zu einer wirtschaftlichen Ordnung führt, die den Bedürfnissen eher gerecht wird. Jedenfalls müssen jedoch Ernst und Tragweite des Nord-Süd-Problems voll erkannt werden. Eine der Klagen, die man über die Vereinten Nationen hört, ist die, daß eine derartige Frage politisiert wird, sobald sie die Organisation aufgreift. Wenn genügend bedacht würde, welch enger Zusammenhang zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen oder humanitären Bereich besteht, würde es zu solchen Klagen gar nicht erst kommen.

Da es bei der Frage der Nord-Süd-Beziehungen um Leben und Schicksal eines großen Teils der Menschheit geht und da diese Frage von entscheidender Bedeutung für die Stabilität der Weltordnung ist, kann sie nicht als eine rein wirtschaftliche Frage angesehen und damit den Wirtschaftsexperten zur Untersuchung und Behandlung überlassen werden. Ein ernsthafter Dialog über eine solche Frage kann gar nicht unpolitisch bleiben — was immer damit gemeint sein mag —, wenn es so große Ungleichheiten zwischen reich und arm gibt, aus denen sich unterschiedliche Prioritäten ableiten. Man kann diese Unterschiede nicht aus der Welt wünschen:

Ohne die Vereinten Nationen wären sie noch ausgeprägter, als sie es mit den Vereinten Nationen sind. Uns stellt sich jetzt die Herausforderung, sie durch Geduld, Verständnis und ständige Kompromißbereitschaft auf allen Seiten allmählich geringer werden zu lassen. Dies setzt eindeutig entsprechenden politischen Willen voraus. Spezialisten für internationale Politik können bei diesen Bestrebungen von unschätzbarer Hilfe sein. Das Ausbleiben größerer Fortschritte bei der Abrüstung und die Rückschläge, die die Sache der Entwicklung in der Dritten Welt erlitten hat, sind zwei der Dinge, die uns am meisten Anlaß zur Sorge geben.

Darüber hinaus genügt bereits eine oberflächliche Betrachtung der internationalen Szene, um einen von der Mißlichkeit der derzeitigen Lage zu überzeugen. Obgleich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ein Bekenntnis zum Multilateralismus als Eckstein des heutigen Systems der internationalen Beziehungen abgelegt haben, neigen die Regierungen noch immer zu unilateralem Vorgehen unter Mißachtung der Rechte und Interessen anderer. Obgleich sie alle gelobt haben, sich in ihren internationalen Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die Integrität oder Unabhängigkeit eines Staates zu enthalten, kommt es nicht selten zu Akten der Einschüchterung und der Gewalt seitens eines Staates gegenüber einem anderen. Obgleich alle Mitglieder verpflichtet sind, die Vereinten Nationen bei jeder Maßnahme, die diese in Übereinstimmung mit ihrer Charta treffen, in jeder Weise zu unterstützen, wird die Weltorganisation oft ignoriert, übergangen oder abgewiesen.

Erstmals in ihrer Geschichte ist die Menschheit der Gefahr der nuklearen Vernichtung ausgesetzt. Das Streben nach absoluter Sicherheit durch die AnhäuVereinte Nationen 4/86 123 fung und ständige Perfektionierung von Massenvernichtungswaffen führt zu andauernder Unsicherheit. Was liegt nun an der Wurzel all dieser Widersprüchlichkeiten? Es wäre ungerecht, annehmen zu wollen, die Staatsmänner der heutigen Zeit seien weniger weise oder weniger uneigennützig als ihre Vorgänger aus einer anderen Zeit. Offensichtlich ist jedoch, daß Staatsmänner wie Gefolgsleute gemeinsam dabei versagt haben, die Besonderheit unseres Zeitalters zu verstehen und sich ihr anzupassen. Ein Ergebnis dieses Versagens ist die Tendenz, auf internationale Situationen der heutigen Zeit in einer Form zu reagieren, die unter den Bedingungen der Vergangenheit Erfolg gezeitigt hätte, die aber heute weder moralisch tragbar noch vom pragmatischen Gesichtspunkt her zielführend ist.

Es scheint, daß das politische Denken mit den großen, erstaunlich raschen Veränderungen der vergangenen vier Jahrzehnte nicht Schritt gehalten hat. Statt einer Welt, die von den Kolonialmächten beherrscht wurde, haben wir nun eine Welt von 159 Staaten; die meisten von ihnen haben erst vor kurzem ihre Unabhängigkeit erlangt, bestehen aber zu Recht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit. Statt einer Welt, in der es sich einige Nationen erlauben konnten, in relativer Isolation zu leben, haben wir eine Welt, die durch den Fortschritt der Technologie, die Leichtigkeit der Kommunikation, die Abläufe der modernen Wirtschaft, das politische Erwachen der ehemals abhängigen Länder und aufgrund einer Fülle anderer Faktoren eins geworden ist.

Heute können in einem Staat getroffene Maßnahmen gravierende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen eines anderen Staates nach sich ziehen. Dies war früher nicht in vergleichbarem Maß der Fall. Tatsächlich scheinen die grundlegenden Unterschiede zwischen der heutigen Welt und der Welt der Vergangenheit nur einen schwachen Eindruck im politischen Bewußtsein hinterlassen zu haben. Es ist Aufgabe der Wissenschaftler und Analytiker, die Folgen dieser Unterschiede deutlich zu machen. In der Vergangenheit wurden internationale Streitigkeiten oft durch Gewalt beigelegt; heute gereicht die — direkte oder indirekte — Anwendung von Gewalt dem Angreifer ebenso zum Schaden wie dem Opfer. In der Vergangenheit fand der Erwerb von Waffen weder so kontinuierlich statt noch wirkte er sich annähernd so destruktiv auf die Entwicklung aus wie heute.

In der Vergangenheit konnten Wohlstand in einem Teil der Welt und Armut und Not in einem anderen nebeneinander bestehen, da die Armen in ihr Schicksal ergeben waren und die Welt nicht über die Mittel verfügte, um die Armut zu besiegen. In der Vergangenheit verhieß Frieden nicht die gleichen grenzenlosen Möglichkeiten für den menschlichen Fortschritt, die aufgrund immer umfassenderer wissenschaftlicher Erkenntnisse und aufgrund der technologischen Entwicklung heute gegeben sind. Andererseits drohte in der Vergangenheit durch den Krieg auch nicht — so wie heute — die Auslöschung der gesamten menschlichen Zivilisation. Das Wesen des Krieges hat sich geändert, und auch der Friede hat einen neuen Inhalt bekommen. In der Vergangenheit wiederum existierte die in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Konzeption der kollektiven Sicherheit einfach noch nicht.

Die Großmächte waren darauf bedacht, ihre Sicherheit durch eigene militärische Stärke oder durch Bündnisse zu gewährleisten; doch auch dies wappnete sie nicht gegen Kriege, die weitreichende Zerstörungen mit sich brachten. Heute bedarf die Sicherheit jeder Nation des Rückhalts der Sicherheit aller Nationen. In der Vergangenheit waren die Nationen nicht in der Weise und in dem Ausmaß voneinander abhängig wie heute. Auch stand die Welt der Vergangenheit im Gegensatz zur heutigen nicht vor so großen Problemen, die alle Nationen gemeinsam angehen, wie zum Beispiel die Qualität der Umwelt. Schließlich mußten sich die Nationen auch nicht mit solchen allen gemeinsamen Gefahren auseinandersetzen wie — um wieder nur ein paar Beispiele zu nennen — dem Terrorismus und dem illegalen Drogenhandel.

All das zeigt, daß wir heute in einer Welt leben, deren grundlegendes Merkmal die Interdependenz der Nationen ist. Ein rechtes Verständnis dieser Wirklichkeit sollte eigentlich die Stärkung der für breitangelegte internationale Zusammenarbeit geschaffenen Struktur, der Vereinten Nationen, zur natürlichen Folge haben. Wir können weder mit der Welt von heute zurechtkommen, noch uns auf die Welt von morgen vorbereiten, wenn die Vereinten Nationen auf eine niedrige Effektivitäts- und Bedeutungsstufe verwiesen werden. * # » Daß in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Frieden eine Lücke besteht, zeigt sich daran, daß die Vereinten Nationen — mit allen ihren Mißerfolgen und Erfolgen, ihren Schwächen und Stärken — die Aufmerksamkeit der akademischen Gemeinschaft nicht in dem Maße fesseln konnten, wie dies angesichts ihrer Stellung im internationalen Leben angebracht wäre.

Ohne diese offensichtliche Indifferenz würde dem Unternehmen Vereinte Nationen in ausschlaggebenden Kreisen der Öffentlichkeit nicht so geringe Wertschätzung entgegengebracht wie jetzt. Möglicherweise neigen Wissenschaftler dazu, die Charta lediglich als ein Paket allgemeiner Grundsätze oder Gemeinplätze anzusehen, die es kaum wert sind, untersucht und analysiert zu werden. Eine solche Einstellung geht jedoch an der Tatsache vorbei, daß es sich bei den Fragen, die in der Charta angesprochen werden, um zentrale Fragen im Leben der Menschheit handelt. Als übergeordnetes Thema tritt dabei die Unumgänglichkeit des multilateralen Ansatzes bei der Lösung internationaler politischer oder wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Probleme hervor. Da dieses Thema nur marginale Aufmerksamkeit erhält, wird noch immer verkannt, was sich mit traditioneller Diplomatie erreichen beziehungsweise nicht erreichen läßt. Aus dieser Fehleinschätzung wiederum resultiert die Tendenz der Regierungen, die Vereinten Nationen zu übergehen. Wie bereits gesagt, wurden internationale Probleme früher meist nicht durch die Heranziehung eines etablierten internationalen Apparats, sondern mit anderen Mitteln gelöst.

Wenn sich irgendeines der Probleme, die heute auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen stehen, mit solchen Mitteln lösen ließe, wäre dies längst geschehen. Davon, daß auch die Vereinten Nationen nicht imstande gewesen sind, diese Probleme zu lösen, wird viel Aufhebens gemacht, dabei aber kaum bedacht, daß allein schon ihre Überweisung an die Vereinten Nationen ein klares Eingeständnis ist, daß die beteiligten Regierungen sich mit der Problemlösung überfordert sehen. Und bei den beteiligten Regierungen handelt es sich nicht nur um die Parteien des jeweiligen Konflikts, sondern in einigen Fällen um praktisch die gesamte internationale Gemeinschaft. Ich räume durchaus ein, daß es im Kontext all dieser Probleme zu Situationen kommen kann, in denen ein von Sachkenntnis getragenes diplomatisches Vorgehen im traditionellen Sinn dazu beitragen kann, gewisse Änderungen herbeizuführen, die sich problemmildernd auswirken können. Wie aktuelle Erfahrungen deutlich zeigen, haben solche Wirkungen jedoch nur kurzfristig Bestand.

Eine dauerhafte und umfassende Regelung kann nur durch Einsatz des zentralen Instruments des Multilateralismus, der Vereinten Nationen, zustande kommen. Klassische Beispiele hierfür sind die Probleme im Nahen Osten und im Südlichen Afrika. Unilaterale Maßnahmen, bilaterale Bemühungen, trilatrale Vereinbarungen — nichts hat den genannten Regionen bisher den Frieden gebracht, den die Völker dort — Araber wie Israelis, Weiße wie Schwarze — in so hohem Maße verdient haben. Warum sich diese Probleme in den Vereinten Nationen bisher einer Lösung entzogen haben, ist ebenfalls eine Frage, die es wert wäre, von den Wissenschaftlern eingehend analysiert zu werden. Eine solche Analyse sollte nicht nur auf das Wesen der Probleme selbst eingehen, sondern auch darauf, wie die Vermittlertätigkeit der Vereinten Nationen dabei in Anspruch genommen wurde.

In diesem Zusammenhang bietet sich auch die Überlegung an, daß nicht nur Krieg und Frieden sich in unserem Zeitalter vom Wesen her geändert haben, sondern daß der Charakter von Verhandlungen einen ebensolchen Wandel erfahren hat. Ein Verständnis von Konfliktsituationen wäre in der heutigen Zeit unvollständig, wenn damit nicht auch ein Begreifen der legitimen Interessen, die verdienen, daß ihnen Genüge getan wird, und der völlig realen Ängste, die beschwichtigt werden müssen, einhergehen würde. Ein solches Begreifen erschließt sich aber nur auf dem Weg über einen multilateralen Ansatz.

So manches Problem bleibt in fruchtlosen Diskussionen stecken, weil die eine Seite nicht die Ängste und Nöte, die atavistischen Emotionen und den Nationalstolz erkennt, von denen die andere Seite geleitet wird. Sofern wir nicht die Ursachen für die Unsicherheit von Nationen erfassen — sei es im regionalen oder im globalen Kontext —, wird das Streben nach Lösungen für internationale Probleme auch in Zukunft nicht aus der Sackgasse herauskommen. So lange die vitalen Interessen aller Beteiligten ausreichend berücksichtigt werden, wird es keine Partei als Zeichen der Schwäche ansehen, wenn ein triftiges Argument Gehör oder ein erwiesenermaßen vernünftiger Kurs Annahme findet.

Dies ist jedoch nur in einem multilateralen Forum möglich, in dem potentielle Berührungspunkte erkennbar werden, die auf den ersten Blick und in einem bilateralen Kontext inexistent erscheinen. Der damit verbundene Prozeß ist zwangsläufig zeitraubend und kompliziert. Er bringt immer wieder Frustrationen mit sich, doch eine andere Methode zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten gibt es nicht. Dies leitet über zu einer anderen Frage, mit der sich die Wissenschaftler meines Erachtens mehr auseinandersetzen sollten. Bei der Analyse der Ursachen dafür, daß der eine oder andere Streitfall nicht beigelegt werden konnte, liegt oft der Schluß nahe, daß man ja mit dem Problem >leben< kann, da es sich nun einmal als einer Lösung unzugänglich erwiesen hat.

Zu einem solchen Schluß dürfen weder die Wissenschaftler noch die Vereinten Nationen kommen. Man kann mit keinem Problem leben — was nur bedeutet, daß man es zum Weiterschwelen sich selbst überläßt —, wenn es chronische Unsicherheit hervorruft, den Entwicklungsprozeß einer Gesellschaft in falsche Bahnen lenkt, ihre Ziele verzerrt, die Menschenrechte untergräbt und explosive Möglichkeiten für einen in Zukunft noch ausgedehnteren und stürmischeren Konflikt in sich birgt. Sein Fortbestand an sich ist schon eine Ungerechtigkeit, die abgestellt werden muß. Der Wissenschaftler, der mit der Menschheit mitempfindet und dem das Leben aller seiner Mitmenschen am Herzen liegt, kann Passivität gegenüber einem wichtigen internationalen Problem nicht vertreten.

In seiner Analyse der Gründe, warum sich das Problem bisher einer Lösung entzogen hat, sollte er nicht zu Tatenlosigkeit anregen, sondern vielmehr zu energischeren, weniger bruchstückhaften und besser fundierten Anstrengungen. So wird er zu einem Verbündeten im Prozeß der Festigung des Friedens. Ich habe einige der Themenbereiche angesprochen, für deren Analyse, Erforschung und Erörterung die Wissenschaftler große Verantwortung tragen, wenn wir auf eine sicherere Zukunft hinarbeiten wollen. Da kein Winkel der Erde dem Auge des Satelliten entgeht, da die Wissenschaft unter den Bewohnern unseres Planeten eine Solidarität geschaffen hat, die sie nie zuvor verspürt haben, müssen wir die Welt als ein Ganzes sehen. Tagtäglich entstehen neue Interessengemeinschaften, entstehen über Landes- und Kulturgrenzen hinweg neue Gemeinschaften. Wir dürfen die Welt nicht als Arena betrachten, in der die Großmächte ihre Konkurrenzkämpfe austragen, sondern als Bühne, auf der die Mächte des Wissens und der Unvernunft, der Aufklärung und des Vorurteils, der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit miteinander im Widerstreit liegen. Die sich hierbei abzeichnenden Erfordernisse verlangen nach neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen den Nationen.

Die Charta der Vereinten Nationen bietet, wie ich glaube, ausreichenden Spielraum für die Entwicklung solcher Kooperationsformen; in der Tat haben die Vereinten Nationen bei ihrer Arbeit bereits den Nachweis ihres Potentials erbracht. Jedoch kann die akademische Gemeinschaft einiges dazu tun, um die politisch Verantwortlichen solchen Bestrebungen gegenüber geistig aufgeschlossen zu machen. Ihre Erkenntnisse und Anregungen zur Friedensproblematik können in gesunde Vorschläge für fruchtbare Lösungsansätze in der Abrüstungs-, Entwicklungs- und Stabilitätspolitik umgesetzt werden, und Sie können sich dadurch in den Dienst des Strebens nach weltweitem Frieden in Gerechtigkeit stellen.

Eingangs habe ich den Abschluß des Westfälischen Friedens im 17. Jahrhundert erwähnt, der ungeheure Auswirkungen auf das damals im Entstehen begriffene europäische Staatensystem hatte. In solchen historischen Momenten, wo Frieden geschaffen wird, kristallisiert sich staatsmännische Kreativität. Zu keiner anderen Zeit wurde solche Staatskunst dringender gebraucht als heute. Nie zuvor hätte sie sich auf die Lebensbedingungen der Menschen unserer ganzen Erde so wundersam auswirken können wie in dieser unserer Zeit.

Doch nun erleben die Vereinten Nationen das was sie leider verabsäumt haben. Immer Nationen wenden sich ab, oder können sich mit dem Grundgedanken der UNO immer weniger identifizieren.
Als Mitglied des Journalistenverbandes der UNO sehe ich auch dort natürlich vieles kritisch, aber die UNO an sich hätte eine große Chance gehabt, doch es scheint das diese aktuell verspielt wurde.

Dies zeigt zb folgende Headline aus der Tageszeitung „WELT“:

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